Wie Kooperationen das Ruhrgebiet zur Wissensmetropole machen

In der Metropole Ruhr ist eine der dichtesten Bildungs- und Forschungslandschaften in Europa entstanden und punktet besonders in Zukunftsthemen. Das Erfolgsrezept: Zusammenarbeit. 

Das Audimax trotzt malerisch einem Schneegestöber, die Terrasse der Mensa erstrahlt im Abendrot – Shuto Morioka macht Werbung. Für seine Hochschule, die Ruhr-Universität Bochum (RUB). Regelmäßig hält der Austauschstudent aus Japan eindrucksvolle Perspektiven seines Campus fest und teilt die Fotos mit Freunden rund um den Globus auf Facebook, Instagram und Twitter. „Viele Japaner wollen in Deutschland studieren. Aber kaum jemand kennt Bochum. Das möchte ich ändern. Denn ich bin gerne hier“, sagt Morioka, der seit einem halben Jahr Japanologie und Soziologie auf Master an der RUB studiert. Als er 2017 für einen Deutschkurs nach Bochum kam, war die Metropole Ruhr auch für ihn noch eine große Unbekannte – und genau deshalb stach sie alternative Studienorte wie Berlin, Hannover und Mannheim aus. Dass er sich mit dem Ruhrgebiet aber tatsächlich für eine der studentenstärksten Regionen in Deutschland entschied, war Shuto Morioka damals gar nicht klar. Heute genießt er das breite Angebot. 
 
290.000 junge Menschen – das ist etwa jeder zehnte Student im Bundesgebiet und jeder dritte in Nordrhein-Westfalen – studieren derzeit an einer der 22 Hochschulen in der Metropole Ruhr. Eine recht junge, dynamische Hochschullandschaft, denn keine der Einrichtungen ist älter als 50 Jahre. Die vier Universitäten, 15 Fachhochschulen – in Kürze kommt eine weitere, praxisorientierte für Informatik- und Ingenieurthemen in Lünen hinzu – sowie zwei Kunst- und Musikhochschulen formen eine der dichtesten Bildungs- und Forschungslandschaften in Europa. „Der Blick auf die Zahl der Studentinnen und Studenten sowie der Hochschulen zeigt, dass wir eine Wissensmetropole sind“, stellt Karola Geiß-Netthöfel, Direktorin des Regionalverbands Ruhr (RVR), fest. „So profitieren die Unternehmen von einer breiten und qualifizierten Fachkräftebasis. Für die jungen Menschen aus der Region schaffen wir damit hervorragende Startbedingungen für ihre berufliche Laufbahn. Und wir können dank der guten Rahmenbedingungen auch Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt gewinnen.“ 

Das wiederum liegt an den Zukunftsthemen im Fächerangebot der Hochschulen, die ihre Schwerpunkte auf Umwelttechnologie und Gesundheit, Medizintechnik, E-Commerce und Logistik sowie IT und neue Themen wie Entrepreneurship gelegt haben. Mehr als jeder dritte Erstsemester-Studierende (37 Prozent) entscheidet sich hier für ein ingenieurwissenschaftliches Fach, 17 Prozent wählen Mathematik oder eine andere Naturwissenschaft. Das ist deutlich mehr als im Rest des Bundeslandes NRW (25 und 11 Prozent) und für die Wirtschaft, die allenthalben nach Absolventen aus den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik Ausschau hält, ein starker Standortvorteil

Zusammen kommt man weiter

„Wir stellen ein! Doktorandenstellen in allen Schwerpunkten verfügbar“, steht fett ganz oben auf der Website des neuen Kompetenzzentrums „Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr“, das an der Technischen Universität Dortmund am Lehrstuhl für künstliche Intelligenz angesiedelt ist. Hier entsteht eines von bundesweit vier Kompetenzzentren, die das Bundesforschungsministerium mit 30 Millionen Euro fördert, um sicherzustellen, dass Deutschland beim Thema künstliche Intelligenz nicht gegenüber den USA und China ins Hintertreffen gerät. 
 
Dass der Dortmunder Lehrstuhl für Informatik den Zuschlag erhielt, ist nicht nur ein Beispiel für seine erfolgreiche Arbeit an Zukunftstechnologien. Das Projekt zeigt auch den großen Stellenwert von Vernetzung und Zusammenarbeit in der Bildungslandschaft: Denn neben der TU Dortmund werden auch die Universität Bonn und zwei Fraunhofer-Institute in Dortmundund Sankt Augustin mitforschen. 
 
Die Einsicht, dass man „Gemeinsam besser studieren, forschen und lehren“ kann, führte bereits vor über zehn Jahren zur Gründung der „Universitätsallianz Ruhr“. Seitdem arbeiten unter diesem Leitspruch die RUB, die TU Dortmund und die Universität Duisburg-Essen eng zusammen. 120.000 Studierende können seither aus den Lehrangeboten aller drei Hochschulen wählen. Zudem arbeiten 14.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam an fach- und hochschulübergreifenden Projekten. 
 
Kooperation ist aber auch in vielen anderen Konstellationen das Erfolgsprinzip. Als „Ruhr Master School“ bündeln etwa die Hochschulen Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen ihre Ingenieur- und Informatikkompetenzen. Und innerhalb Bochums haben sich zwölf Institute, darunter die sieben Hochschulen der Stadt, zur „UniverCity Bochum“ zusammengetan. Dabei oft mit am Tisch: die Institute der drei außeruniversitären Forschungseinrichtungen – das Fraunhofer- und das Max-Planck-Institut sowie die Leibniz-Gemeinschaft. 

„Das geballte Know-how macht größere, facettenreichere Forschungsvorhaben möglich“, erklärt Dr. Hans Stallmann, Koordinator der Universitätsallianz Ruhr. Denn solche Gemeinschaftsprojekte sind nicht nur gut für den wissenschaftlichen Fortschritt, sondern auch fürs internationale Renommee. Das wiederum zieht Forschungsgelder an, die der Region zugutekommen: Knapp 42 Prozent des Hochschulbudgets von 1,48 Milliarden Euro stammten nach einer Erhebung des RVR im Jahr 2012 aus Forschungsmitteln der Wirtschaft sowie von Stiftungen und der EU. Damit lag die Metropole Ruhr klar über dem NRW-Wert von 31 Prozent, was die Relevanz der hiesigen Forschung für die Unternehmen vor Ort verdeutlicht. 
 
Immer öfter bringen die Unternehmen sich auch selbst als Know-how-Lieferant in Lehre und Forschung ein. So agieren im NRW-Forschungskolleg „Future Water“ beispielsweise Unternehmen der kommunalen und der privaten Wasserwirtschaft als Praxismentoren für Doktoranden aus einem halben Dutzend Hochschulen. Unter Führung der Universität Duisburg-Essen forschen die Nachwuchswissenschaftler zu Themen wie Abwasserentsorgung und Gewässerrenaturierung. Erst jüngst erhielt Future Water vom NRW-Wissenschaftsministerium die Zusage für eine weitere Förderung in Millionenhöhe. 

Das geballte Know-how macht größere, facettenreichere Forschungsvorhaben möglich.
Dr. Hans Stallmann, Koordinator der Universitätsallianz Ruhr

 
Talente finden und weiterentwickeln

Gute Forschungs- und Karrierebedingungen sind die beste Werbung, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt anzulocken. Die promovierte Physikerin Clara Saraceno zum Beispiel wechselte vor zwei Jahren von der ETH Zürich an die RUB, um dort an neuen Herstellungsverfahren für Terahertzstrahlung – eine Form elektromagnetischer Wellen – zu arbeiten. Die 34-Jährige, die gleich mit der ganzen Familie nach Bochum kam, begeistert sich nicht nur für die hiesigen Arbeitsbedingungen, sondern schätzt auch, „wie gut die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist“. 
 
Unter dem Label „welcome.ruhr“ hat der RVR entsprechende Beratungsangebote für internationale Bewerber wie Saraceno geschaffen. Das „Dual Career Netzwerk“ etwa kümmert sich in Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen darum, dass auch die Partner von Spitzenforschern beruflich gut unterkommen. Und deren Kinder können an der International School Ruhr in Essen ein Abitur in englischer Sprache erwerben oder sich für eine andere der rund 1.400 Schulen in der Region entscheiden. 
 
Auch für den jüngeren Nachwuchs wird eine Menge getan. Zwei Drittel der Schüler ab der fünften Klasse besuchen eine der 275 Schulen, die zur (Fach-)Hochschulreife führen. Insgesamt geht der Trend seit Jahren zu immer höheren Qualifikationen. So verfügen in der Metropolregion inzwischen deutlich mehr Personen über eine Hochschulzugangsberechtigung als im Bundesschnitt (63 gegenüber 53 Prozent, Stand: 2014). Weit mehr als jeder zweite Student (57 Prozent) beginnt als Erster in seiner Familie ein Studium – auch das deutlich mehr als im NRW-Schnitt und ein wichtiger Baustein im Konzept „Aufstieg durch Bildung“. 

Doch längst nicht jeder, der dürfte, nimmt auch ein Studium auf – Potenziale, die mit einer Vielzahl von Schüler- und Studentenprogrammen gehoben werden sollen. Unter dem Dach der TalentMetropoleRuhr fördert der Initiativkreis Ruhr mit seinem Schülerstipendienprogramm RuhrTalente begabte Jugendliche ab der achten Klasse während ihrer Schullaufbahn bis zum Übergang in ein Studium oder eine Berufsausbildung. Alles in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, die davon auch bei ihrer eigenen dualen Ausbildung profitiert. Derzeit bilden die Unternehmen der Region 87.000 junge Menschen zu Fachkräften aus. Zudem können Erwachsene an zwölf Kollegs über den zweiten Bildungsweg weiterführende Abschlüsse erwerben.

Fachkräftelieferant und Umsatzbringer

Mit insgesamt rund 80.200 Beschäftigten sind Unternehmen und Institutionen, die sich mit Wissen und Bildung beschäftigen, aber auch selbst ein wichtiger Arbeitgeber in der Metropole Ruhr: Jeder 20. Einwohner lehrt an einer Schule, hält Vorlesungen oder bildet Erwachsene weiter. Gerade für Städte wie Bochum, Bottrop oder Dortmund, die in den vergangenen Jahren das Abwandern großer Unternehmen verkraften mussten, liefern die Hochschulen neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Höherqualifizierte und tragen so zur Akademisierung der Region bei. Die Wirtschaft profitiert dabei doppelt: von den ausgebildeten Fachkräften, aber auch von den Forschungsimpulsen.

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